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Interview mit Unwritten Pages (16.10.2012)

Unwritten Pages

Nachdem "Fringe Kitchen" kein alltägliches Prog-Album geworden ist, besticht der Gedanke an ein Interview mit UNWRITTEN PAGES auch dahingehend, dass das Projekt nach "Noah" autark agiert und daran vorerst nichts ändern möchte, und von den kryptischen Texten geht eine unweigerliche Faszination auf. Mastermind Fred Epe gibt Aufschluss.

Wer sind "it" und "he" in "Asylum Tragedy"?

"It" bezieht sich mehr oder weniger auf einen Geisteszustand zwischen Wahn und Vernunft sowie allem, was zu diesem oder jenem führt und unwiderrufliche Veränderungen im Leben bewirkt. Traumata sind das große Motto auf "Fringe Kitchen", und die Texte sind quasi so geschrieben, dass man die Leerstellen selbst füllen muss. Ich interpretiere sie eben auf meine Weise, freue mich aber sehr über die Deutungen der Hörer, aber zurück zur Frage: "He" betrifft keine konkrete Person, sondern generell jemanden, der den Bezug zur Realität im Zuge eines Traumas verloren hat. Ich habe mir eine Person vorgestellt, die in einer Nervenheilanstalt sitzt, aber diese könnte eigentlich auch jedermanns eigenes Gedankengebäude sein.

Warum bemüht ihr euch nicht um einen Plattenvertrag?

Der Musikbetrieb hat sich in den vergangenen Jahren leider drastisch gewandelt. Damit will ich nicht behaupten, lukrative oder faire Verträge seien ein Ding der Unmöglichkeit, aber es ist definitiv schwierig geworden, einen sinnvollen Deal zu ergattern, speziell für Nischenmusik und Leute wie uns, die in erster Linie im Studio agieren, zumindest bis auf weiteres. Was wir auch versuchten, schlug bislang fehl, weil weder Vertriebe noch Labels befriedigende Angebote vorlegten. Progrock Records haben unser Debüt "Noah" versacken lassen und keine sonderlich transparente Label-Politik betrieben, was uns quasi darin bestätigte, auf eigene Faust zu veröffentlichen. Kategorisch ausschließen möchte ich die Möglichkeit für eine Zusammenarbeit mit einer Firma nicht, denn falls sich jemand auftut, der ehrlich begeistert von uns ist, sagen wir bestimmt nicht nein.

Hattet ihr das Gefühl, mit "Noah" in eine verstiegene Fantasy-Ecke gedrängt zu werden?

Die Scheibe war insofern wichtig, als sie uns lehrte, wie man effektiv kreativ arbeitet, aber du deutest da schon etwas Richtiges an: Wir möchten unsere Musik weiterentwickeln und die Konsequenzen dafür tragen, weil ich dies in jedem Fall gegenüber der Stagnation vorziehe. Ich hasse es, auf der Stelle zu treten. Das Album steckte voller Prog-Clichés, und in dieser Form würden wir es nicht wieder machen, auch wenn dies für neue Bands wie uns einem kommerziellen Alptraum gleichkommt, weil man mit jedem neuen Album bei null beginnt. Ich kann aber damit leben, weil unsere Musik deshalb stets so ausfällt, wie wir sie uns zu einem gegebenen Zeitpunkt unserer Karriere vorstellen. So war es bei "Noah" ja eigentlich auch; es handelte sich um einen Tribut an Sciencefiction der Achtziger und alte Videospiel-Soundtracks.

Geht es in "Intoxicating Sweets" nur um einen Kokain-Rausch?

Viele der Stücke drehen sich um Missbrauchen, und "Intoxicating Sweets" behandelt tatsächlich Drogen beziehungsweise. Ich stellte mir beim Schreiben jemanden vor, der ziellos durch die Straßen irrt und zusehends die Verbindung zu dem verliert, was einmal sein Leben ausmachte. Jegliche Wärme und Heiterkeit, die wir mit unseren Freunden und Verwandten teilen, ja eigentlich für selbstverständlich halten - der Text handelt davon, nichts von alledem mehr zu empfinden.

"Perfect Incentive" stößt in die gleiche Richtung?

Ein Freund dachte dabei an einen Psychopathen, der einen Massenmord aus religiösen Gründen rechtfertigen will und dann eine außerkörperliche Erfahrung hat. Das hörte sich für mich doch recht interessant an, aber rückblickend muss ich sagen, dass es sich bei "Intoxicating Sweets", "Perfect Incentive" und "Cloud Infinite" um eine Trilogie handelt. Die neue Scheibe ist kein Konzeptalbum, aber es gibt da eben diesen roten Faden. "Intoxicating Sweets" handelt von totalem Bezugsverlust, "Perfect Incentive" vom letztlich zwecklosen Versuch, zu seinem alten Lebensstil zurückzufinden, wieder zu den Eltern zu ziehen und mit alten Freunden anzubandeln … nicht nur der Erinnerung und Nostalgie wegen, sondern auf der Suche nach Bindung.

Wo besteht bei "Cloud Infinite" der Zusammenhang zu den erwähnten Chromosomen?

Es stellt den recht traurigen Abschluss der Trilogie dar. Man kann den entstandenen Schaden nicht ungeschehen machen, wohl aber mit seinen Narben leben. Ich mag den Kontrast zwischen Musik und Text; man könnte es mit einer tödlichen Überdosis vergleichen, einem speziellen letzten Trip vor dem Ende. Es geht um mentale Dekonstruktion, einer völligen Gelöstheit auf dieser Reise, was insgesamt in der Realität arg tragisch anmutet, so man sich für einen solchen Lebenswandel entscheidet. Wie gesagt: So hatte ich den Text im Sinn, aber jeder mag ihn sehen, wie er will.

Behandelt "Terminal Defect" Genmanipulation?

Auch ein interessanter Ansatz, den ich zwar nachvollziehen kann, aber nein: Generell habe ich nie so etwas Finsteres geschrieben wie diesen Text. Beim Komponieren haben wir eine Entwicklung vollzogen, die uns am Ende wieder zum Ausgangspunkt führte, weshalb das Stück auch kein übliches Strophe-Refrain-Schema besitzt. Der Gedanke dahinter beruht auf der Vorstellung, dass wir alle einen tödlichen Defekt haben, und zwar von Geburt an, woran sich nichts ändern lässt. Der Tod ist quasi eingebaut, und ich beschäftige mich damit, wie wir, wenn unsere Zeit kommt, aufs Leben zurückblicken; hauptsächlich wehmütig? Glücklich? Ein wenig von beidem? Erachtet man es überhaupt noch als wichtig zu diesem Zeitpunkt? Ich kann mir kaum ausmalen, wie es sich gestalten wird.

Erkläre mal das Wortspiel zwischen "Kaleidoscope" und dem Verb "demote" in "Kaleidemote".

John Macaluso nannte den Song tatsächlich ständig "Kaleidoscope". Es geht dabei schlicht und ergreifend um Schreibblockade und Selbstreflexion, mit der man es sich unnötig schwer macht; Man bürdet sich selbst zu viele Gedanken auf und torpediert sein Tun. Folglich spreche ich darüber, diese Angewohnheit beziehungsweise Hindernisse zu überwinden, die dazu führen, dass man sich so verhält. Der Text soll hoffnung versprühen, vor allem im Refrain, denn immer wenn du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her, wie der Spruch so schön sagt.
 
Die besungene Birke in "Wasted Land" sieht man nicht rein zufällig auf dem Cover?

Oh, daran habe ich noch nie gedacht, also nein. Im Song geht es um Isolation und Zurückgezogenheit, weil man einmal stark von der Gesellschaft enttäuscht wurde. In vielerlei Hinsicht hat dies damit zu tun, dass man Zeit seines Lebens vor sich selbst wegläuft, nicht zu seiner Vergangenheit stehen möchte oder schlicht Angst davor hat. Das Artwork betrifft diesen Zwist mit deinem früheren Selbst, einem Quasi-Doppelgänger.

Der letzte Song subsumiert das Problem, wie es scheint …

"Auxiliary Influx" greift wohl wirklich Elemente aller Stücke der Scheibe auf, also passt es ans Ende. Es ist aber kein Happy End, weil das Leben eben nicht so läuft, sondern eine Serie von positiven und negativen Erlebnissen darstellt, bis die Zeit um ist. Am Ende rekapitulierst du mit relativ nüchternem Blick.

Plant ihr, live zu spielen?

Liebend gern, aber nicht auf die halbherzige Tour. Ich will mit gutem Sound und toller Lichtshow spielen, denn nichts weniger ist für unsere Musik angemessen. Wenn es sich finanziell machen ließe und Fans danach verlangen würden - warum nicht?

Und was habt ihr auf lange Sicht noch vor?

Ich will einfach weiter komponieren und aufnehmen, hoffentlich für eine wachsende Hörerschar. Es gibt keinen Masterplan, aber ich würde lügen, behauptete ich, dass wir uns keine größere Resonanz wünschten.

Andreas Schiffmann (Info)
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